Sandy, Du warst maßgeblich an der Ausrichtung des Hackathons #WIRVSVIRUS beteiligt. Das gehört normalerweise nicht zu Deinem Arbeitsalltag. Was nimmst Du davon mit?
Da hast du recht. Aber der Hackathon war mir nicht nur persönlich eine Herzensangelegenheit, er passt auch einfach zu unserer Vision bei der Initiative D21 e. V., wie digitaler Wandel motiviert und chancenorientiert für eine bessere Gesellschaft gestaltet werden kann. Denn eine erfolgreiche digitale Gesellschaft kann nicht aus Einzelkämpfern bestehen, sie erfordert vielmehr die Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft – kurz: von uns allen. Und beim Hackathon konnten wir sehen, wie diese Vision gelebt werden kann.
Vor allem in einer Zeit, in der wir viel von einer gesellschaftlichen Spaltung sprechen und sehen, wo überall Gräben verlaufen. Auch bei dem Zugang, der Offenheit und auch der Kompetenz im Umgang mit Digitalisierung sehen wir diese Gräben und wie sie dazu beitragen, dass einige Gesellschaftsgruppen noch weiter abgehangen werden. Das zeigt auch unser jährliches Lagebild der digitalen Gesellschaft, der D21-Digital-Index. Deshalb war es für mich einfach sehr motivierend, zu sehen, wie auch Menschen, die per se nicht zu den digitalen Vorreitern gehören, sich am Hackathon beteiligt haben und von den digital affineren Teilnehmenden untergehakt und unterstützt wurden. Denn so wurden zumindest im Kleinen an diesem Wochenende einige digitale Kompetenz-Gräben gemeinsam überwunden. Ich würde mir wünschen, dass wir so etwas noch öfter erleben.
Der Hackathon #WIRVSVIRUS war ein unglaublicher Erfolg. Wie geht es jetzt mit den Gewinnern weiter?
Unsere Staatsministerin Dorothee Bär hat es zum Abschluss des Hackathons wirklich wunderbar zusammengefasst: Alle sind Gewinner! Jede und jeder, der teilgenommen hat an diesem Wochenende, hat hoffentlich für sich selbst etwas mitgenommen, aber ganz sicher haben alle dazu beigetragen, dass zumindest für ein paar Tage Hoffnung und Solidarität für viele von uns in Deutschland zu spüren war. Dafür kann man nicht oft genug applaudieren und Danke sagen.
Und aus diesem Grund gibt es auch verschiedene Bausteine im #WirVsVirus Umsetzungsprogramm, die nicht nur für die 20 ausgewählten Gewinner-Projekte des Hackathons da sind. So halten wir die etwa auch großartige Community auf Slack weiter zusammen, wo immer noch über 4.000 Menschen aktiv sind und sich austauschen und weiter an ihren Ideen arbeiten. Dort sind wir auch weiterhin erreichbar und versuchen, mit Rat und Tat zu Unterstützen.
Dazu bieten wir mit dem Matching Fond auch eine Crowdfunding Möglichkeit für alle interessierten Projekte. Die #WirVsVirus Projekte können dort ein eigenes Profil erstellen und Bürgerinnen und Bürger, aber auch Organisationen jedweder Art können für diese Projekte spenden. Jede Spende wird dann mit einem Betrag aus diesem Matching Fond aufgestockt – so wird ganz partizipativ entschieden, welche Projekte weiter gefördert werden.
Für insgesamt 130 Projekte, welche durch eine Fachjury ausgewählt aus 400 Bewerbungen ausgewählt wurden, gibt es beim Solution Enabler eine Plattform, die Begleitung & Coaching, Know-How, Ressourcen, Vernetzung und auch finanzielle Unterstützung bietet. Die 20 Gewinner-Projekte des Hackathons hatten hier einen Platz sicher, sofern sie ihn wollten. Einige Projekte sind mittlerweile schon sehr weit, wir erhalten regelmäßig Erfolgsgeschichten in der Community. Das motiviert natürlich ungemein!
Für etwa 10 Projekte aus dem Solution Enabler gibt es außerdem einen Platz im sogenannten Solution Builder, welcher ein „Überholspur“ Programm anbietet, das zusätzlich zu den Unterstützungselementen des Solution Enabler die Möglichkeit bietet, ein Team aufzubauen. Der Solution Builder zielt darauf ab, die Lösungen schnellstmöglich umzusetzen, um in kürzester Zeit die Herausforderungen durch Covid-19 anzugehen. Hier soll es nach anfänglichen Finanzierungshürden auch endlich bald losgehen.
Bei D21 bist Du für das Thema Bildung verantwortlich. Auch hier hat ‚Corona‘ für Wirbel gesorgt. War bzw. ist das ein Vorgeschmack darauf, dass das Klassenzimmer bald überfällig wird?
Ich glaube nicht, dass das Klassenzimmer überfällig werden wird. Gerade hört man von immer mehr SchülerInnen, dass ihnen das Klassenzimmer eher fehlt und sie schnell zurück wollen in die Schulen. Das liegt sicher auch sehr an den fehlenden persönlichen sozialen Kontakten, die auch Video Calls und Messenger nicht gänzlich ersetzen können. Ich denke, es ist weniger eine Frage des Ersetzens als des Ergänzens. Digital gestütztes Lernen sollte sowohl in der Schule als auch zuhause ein integraler Bestandteil der (Schul-)Ausbildung sein. Allerdings glaube ich, für viele ist die derzeitige Situation zumindest kein positiver Vorgeschmack.
Wir sehen nämlich derzeit besonders deutlich die Versäumnisse der letzten 20 Jahre: Es fehlt an etablierten Konzepten und Routinen, digitalen Kompetenzen und z.T. auch an Offenheit. Bereits 2014 haben wir in unserer Studie zum Stand der Medienbildung an deutschen Schulen drei Handlungsfelder identifiziert, die nichts an ihrer Aktualität verloren haben. Wir müssen auch weiterhin daran arbeiten, die benötigte Infrastruktur bereitzustellen, sprich die Ausstattung mit den benötigten Endgeräten und einem schnellen Internet gewährleisten, aber auch Wartung und Instandhaltung dieser gewährleisten. Nicht vernachlässigt werden darf auch die Medienbildung der Lehrkräfte. Schon in der Lehrerausbildung muss diese eine stärkere Rolle spielen. Es braucht aber auch bedarfsorientierte Fortbildungen. Und Medienbildung sowie Digitalkompetenzen müssen auch noch sehr viel stärker strukturell in den Lehrplänen verankert werden.
Welchen Einfluss hat die Digitalisierung prinzipiell auf unser Verständnis von Bildung?
Ich finde, Jöran Muuß-Merholz hat dafür ein sehr anschauliches Bild in seinem Essay „Der Große Verstärker – Spaltet die Digitalisierung die Bildungswelt“ gefunden. Er erzählt dort von Pinguinen – da hatte er zumindest bei mir sowieso schon Pluspunkt gesammelt – und wie diese ein Leben in zwei verschieden „Medienwelten“ führen. Denn das Medium, in dem der Pinguin lebt, ist das Wasser. Aber das Medium des Pinguins ist auch das Land. Er lebt also in zwei Welten und diese beiden Lebenswelten sind sich in einigen Dingen ähnlich, in sehr vielen Dingen sind sie aber auch unterschiedlich. Man bewegt sich in den Medien unterschiedlich schnell, Raum und Zeit haben auch je nach Welt bzw. Medium unterschiedliche Bedeutungen. Und dieses Bild überträgt er dann auch auf die Bildung, in der analogen und in der digitalen Welt.
Was das Bild für mich verdeutlicht, ist, dass Bildung in der digitalen Welt anders funktioniert als in der analogen Welt. Oft wird die Aussage bemüht, dass Digitalisierung lediglich ein Werkzeug sei und nichts fundamental anderes. Und natürlich können und sollten wir digitale Medien als Werkzeug einsetzen. Aber Bildung im digitalen Zeitalter bedeutet viel mehr, als digitale Werkzeuge zu nutzen. Sie bedeutet, dass ein neues Denkmodell gebraucht wird, bei dem der Fokus auf Fähigkeiten wie kritisches Denken, Kreativität, Kommunikation und vor allem auch Kollaboration liegt. Und auch das Verständnis von Lehren und Lernen ändert sich in der digitalen Welt, genauso wie die Rollenverständnisse des Lehrenden und Lernenden. Es geht dann nicht mehr nur um das systematische Vermitteln von Wissen durch die Lehrenden, sondern um das problemorientierte und erforschende Erschließen von Zusammenhängen und Wirkweisen durch die Lehrenden.
Damit verändert und erweitert die Digitalisierung unser Verständnis von Bildung, etwa wenn es um Bildungsziele, Lernformen und auch Rollenverständnisse geht. Auch in einer digitalisierten Welt werden wir Wissen benötigen – es wird aber zunehmend auch darum gehen, zu diesem durch Hinterfragen, Experimentieren und Erkunden zu kommen, statt durch Büffeln und Belehren.