Gerald, du bewegst dich mit #KoKI zwischen zwei ungewöhnlichen Polen, nämlich zwischen Kommunen und Künstlicher Intelligenz (KI). Das klingt für Außenstehende erstmal nach einem Spannungsverhältnis. Wo siehst du hier die größten Potentiale?

Die Kommunen sind für mich als Gradmesser interessant, inwieweit Themen, die in Berlin einen Hype erfahren nur selbstreferentiell für die Berliner Blase sind oder aber tatsächlich reif genug, um in das Leben der Menschen vor Ort einzugreifen und handhabbar zu werden. Mich reizt es also gar nicht so sehr, die Potentiale in Milliarden zu beziffern, das ist zu abstrakt. Mir geht es darum, dass wir verantwortlicher darüber diskutieren, welche Auswirkungen neue Technologien auf Mensch und Gesellschaft haben. Wir müssen klarstellen, dass wir den Gestaltungsauftrag annehmen und die Zukunft nicht nur ertragen wollen, sondern aktiv gestalten werden- und dafür müssen wir die Berliner Szene verlassen. Das Co:Lab versteht sich hier als Brückenbauer zwischen der Zivilgesellschaft /  Community und der Berliner Blase sowie den Kommunen und Menschen vor Ort und das funktioniert am besten über den interdisziplinären Multistakeholder-Ansatz.

In Bezug auf Künstliche Intelligenz müssen wir auch deutlich machen, dass wir noch ganz am Anfang stehen bei den Kommunen und die eigentliche Wucht noch gar nicht erfassen können. Umso wichtiger ist es, bereits jetzt zu experimentieren und zu lernen, damit wir KI für den gesellschaftlichen Fortschritt[1] einsetzen können. Aktuell läuft eine Umfrage an Kommunen als Ersatz für Workshops, da wir durch die Corona-Krise leider auch in der Initiative völlig durchgerüttelt wurden und gerade die kommunalen VertreterInnen intensiv in Krisenstäbe etc. eingebunden sind.  Generell sind die Fragen:

  • Was ist Motivation für KI-Anwendungen auf kommunaler Ebene? (Fördergeld, Marketing, Kostendruck)
  • Welche Fragestellungen von KI müssen im kommunalen Raum geklärt werden?
  • Wie führen wir MitarbeiterInnen und Bürgerschaft an das Thema heran?
  • Was für gute Beispiele gibt es?
  • Welche Szenarien in den unterschiedlichen Handlungsfeldern sind möglich?

Das Potential der kommunalen Ebene liegt aber auch darin, das ewige Mantra des „Menschen im Mittelpunkt“ mit Leben zu füllen: Es geht um ein gutes, selbstbestimmtes Leben, um Gemeinwohl und soziale Gerechtigkeit in Einklang mit Natur und Umwelt. Und eben nicht nur um mein eigenes Leben, sondern auch um die Generation meiner Kinder und darüber hinaus. Das klingt vielleicht ein wenig esoterisch, aber ich glaube schon, dass wir ein paar visionäre Leitbilder brauchen, unter deren tieferen Sinn sich dann die notwendigen Maßnahmen erklären lassen. Das muss jetzt auch noch nicht alles total konkretisiert sein und völlig ausgeleuchtet bis in jede Ecke, wie wir Deutschen es lieben. Oder wie ich von Christian Felber gelernt habe: Die Oberfläche eines Leitsternes kann man auch nicht abtasten, aber er zieht einen in eine Richtung. Also sind meine Fragen beispielsweise: was passiert, wenn wir Effizienz, Prozessoptimierung, Kostensenkung und Wachstum als Prämissen weglassen? Welche Lösungen kommen dann an die Oberfläche?

Aber wir müssen feststellen, dass KI noch nicht in der Breite angekommen ist, auch wenn es bereits einige Förderprogramme gibt. Wir sehen ja aber auch bei Smart-City-Lösungen, dass es langen Atem braucht. Das ist aber auch nicht schlecht oder verwunderlich und bietet auch die Chance, Fehler zu vermeiden (z.B. Toronto Sidewalk-Labs) sowie Personal und Knowhow aufzubauen, damit die Kommunen selbst auch noch verstehen, was sie zur Anwendung bringen sollen. Das kommunale Management muss ja auch reagieren in Hinblick auf die Veränderungen, die KI in Prozessen, Strukturen und Führung beispielsweise auslöst. Aber auch was KI für die Bewertung einzelner Stellen oder auch für die grundlegende Organisation der Verwaltung und die Zusammenarbeit im föderalen System bedeutet.

Digitales genießt in vielen Kommunen nicht die oberste Priorität. Jetzt kommst Du mit Künstlicher Intelligenz. Was braucht es denn vom Bund, um die Entwicklung tatkräftig zu unterstützen?

Ach, so schlecht sind sie nicht aufgestellt und Digitalisierung ist überall mittlerweile auf der Agenda. Sie sind nur häufig gelähmt durch OZG-Gedöns (und mit 1,3 Verwaltungskontakte pro Jahr erzeugt man keine Digital-Euphorie ;)) und nun Corona als größte Herausforderung. Wir müssen aber natürlich unterstützen, denn die Anzahl der kommunalen Aufgaben und ihre Komplexität nehmen immer mehr zu bei zeitgleichen Effekten des demographischen Wandels und Fachkräftemangels sowie fehlender Attraktivität als Arbeitgeber besonders in den ländl. Räumen. All das ist ohne die Nutzbarmachung technologischer Innovationen und Kooperationsbereitschaft schier undenkbar.

Der Bund hat z.B. für die ländlichen Räume noch nie so viele Förderprogramme gehabt wie jetzt. Jetzt gilt es zu schauen, kommen die Kommunen damit klar? Braucht es doch mehr Bündelung auf Bundesseite? Ein wirkliches Kompetenzzentrum Smart City/Smart Region, das nicht nur lapidare Workshops mit der Führungsriege zu Chancen und Hürden der Digitalisierung macht? Braucht es statt kleinteiliger Förderprogramme vielmehr Prozess- und Institutionenförderung? Ich finde es z.B. super, dass das BMBF nun soziale Innovationen fördert. Das ist ganz wichtig, schaut z.B. auf @WirVsVirus, auf SEND e.V., das Netzwerk für Social Entrepreneure und Social Startups oder auf Project together – eine Social Acceleration Plattform für junge VisionärInnen. Die Frage ist: Wie können wir solche Organisationen und Initiativen unterstützen und nicht, wie müssen wir die verbiegen, damit sie in die angestammten Fördermechaniken und Machtkonstellationen reinpassen. Gerade KI wird nicht a priori zu mehr Nachhaltigkeit und Gemeinwohl führen, das braucht Führung und Leitplanken der Bundesebene und solche ÜberzeugungstäterInnen, wie die eben genannten.

Deswegen sehe ich es gerade als Chance auf kommunaler Ebene, das definitorische Vakuum von KI mit Positivem zu füllen, um die Dystopien zu verdrängen. Denn aktuell scheint über allen Beschäftigungen mit KI die Prämisse der Effizienz zu schweben und die Unzulänglichkeit des Menschen mit seinen Emotionen, Vorurteilen sowie körperlicher und geistiger Schwäche. Dazu gehört also auch, dass wir KI ein wenig entzaubern, denn wie Thomas Langkabel sagen würde: KI ist angewandte Statistik und gutes Marketing – kein Grund also für die „German Angst“. 

Neben #KoKI hast du auch das #CoLab wieder belebt kann man sagen, was wollt ihr hier als erstes angehen?

Wir müssen erstmal nach der Eintragung ins Vereinsregister den großartigen Lenkungskreis und Beirat vorstellen. Dann wünsche ich mir, dass unsere Mitglieder, aber auch andere Leute, auf uns zukommen und Zukunftsthemen mitbringen, die sie mit uns in einem zeitlich beschränkten Format angehen wollen. Ganz aktuell planen wir eine Initiative zur Nachhaltigkeit im Herbst. Ich bin da ganz klar beeinflusst von Maja Göpel, dem schönen Gutachten des WBGU und der Corona-Krise. Sie setzen alle gerade die integralen Dimensionen einer Nachhaltigkeits-Debatte mit Nachdruck auf die Agenda: die Zukunft der Arbeit (und damit z.B. auch der Innenstädte, die sich nur als Arbeitsstätten definieren), die sozialen Ungleichheiten (z.B. die Angst, dass umweltpolitische Maßnahmen zu finanziellen Mehrbelastungen führen), Gedanken über eine neue Genügsamkeit (Cheers an Tilman Santarius) und wie wir unser Wirtschaften mit den Grenzen des Planeten vereinbaren.

Ich sehe die Kommunen als die wichtigsten Akteure, um Maßnahmen zum Klimaschutz zu treffen. Kannst Du dir vorstellen, dass Kommunen hier den Spagat zwischen Digitalisierung und Klimaschutz schaffen?  

Ein gefährlicher Spagat wird es nur, wenn wir mittels neuer Technologien weiter der Effizienzsteigerung und Maximierung hinterherlaufen (Stichwort Rebound-Effekte). Aktuell scheint eine Art falscher Drang zu entstehen, unsere Umwelt an die Anforderungen der Technologien anzupassen. Man könnte fast meinen, wir bauen die Fabriken (Amazon) und smarten Mega-Cities (z.B. für selbstfahrende Autos) so, dass die autonomen Systeme gut ihrer Bestimmung nachgehen können, aber nicht für die Menschen. Dabei haben wir doch gerade jetzt gespürt, was wirklich systemrelevant ist und worauf wir alles verzichten können und dass wir die Technologie an die Welt anpassen sollten und nicht andersherum. Haben wir nicht gerade erfahren, wie sehr wir soziale Wesen sind, wie wichtig der physische Kontakt oder das Naturerlebnis (nicht nur für Kinder) sind? Was wir allein mit dem öffentlichen Raum in den Städten anfangen könnten, den die fehlenden Blechlawinen freigegeben haben (mich und mein Auto inbegriffen). Ich bin überzeugt, dass auch Nachhaltigkeit nur erreicht wird, wenn wir gleichzeitig den sozialen Spannungen und den Fragen nach der Zukunft der Arbeit im Zusammenhang MIT Digitalisierung nachgehen. Und die Chancen sehe ich da gerade in den ländlichen Räumen, dazu habe ich auch einen Blog geschrieben. Ich bin auch dafür, Social Entrepreneurship außerhalb der großstädtischen Ballungszentren zu stärken und vermehrt auf soziale Innovationen zu setzen und sich darüber Gedanken zu machen, was das in meinem Umfeld sein kann. Das Co:Lab möchte deshalb mit seinen Initiativen Mut machen, Angst vor der Zukunft nehmen und Netzwerke bilden:

The past is written, but the future is left for us to write. We have powerful tools: openness, optimism, and the spirit of curiosity. All they have is secrecy and fear. And fear is the great destroyer.

(Star Trek: Picard S1.Ep8: Broken Pieces)


[1] was das jeweils ist, gilt es auszuloten, z.B. ein Leben in Würde, Freiheit und sozialer Sicherheit. Aber auch der Fortschritt der einen (mehr Produktivität) kann Rückschritt für den anderen bedeuten (Arbeitsplatzverlust)