Die Politik hat bislang noch nicht gekannte Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung des Corona-Virus zu verlangsamen. Das hat nicht nur Folgen für den Arbeitsalltag vieler Bürgerinnen und Bürger, sondern auch für die Politik selbst. Wie Bundespolitik von Zuhause aus funktioniert, berichtet Elvan Korkmaz-Emre im Interview mit der Neuen Westfälischen.

Welche Vorschriften gelten für die Sitzungen des Parlaments, der Ausschüsse etc. in Berlin aufgrund der stetigen Ausbreitung des Coronavirus? Wie regelmäßig können Sie noch in Berlin vor Ort sein, um dort Sitzungstermine oder ähnliches wahrzunehmen?

Es gelten prinzipiell auch hier die Maßnahmen, die für alle anderen Bürgerinnen und Bürger gelten. So ändern sich in dieser besonderen Krisensituation auch die Abläufe im Parlament. In der vergangenen Sitzungswoche haben zum Beispiel nur die Ausschüsse getagt, die Maßnahmen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Ausbreitung des Corona-Virus beraten mussten. Entsprechend wurde auch die Präsenz im Plenum verkleinert, damit alle genügend Abstand voneinander halten konnten. Ich war deshalb in der vergangenen Woche nicht in Berlin – der Verkehrsausschuss wurde durch eine Telefonkonferenz ersetzt, in der wir mit Andreas Scheuer die wichtigsten Fragen geklärt haben. Die Arbeit geht also weiter. Darüber hinaus verständigen sich die Fraktionen eigentlich täglich zum weiteren Verfahren: aber es zeigt sich, dass sich Gesundheitsschutz und Arbeitsfähigkeit des Parlaments nicht ausschließen. Komisch ist es aber natürlich trotzdem.

Mit welchen Gefühlen beobachten Sie persönlich die Regelungen, die auch Ihre Arbeit verändern?

Sie sind absolut notwendig. Und ich denke, derzeit beweisen wir uns alle, dass auch eine solche Krise die freiheitliche Ordnung nicht erschüttert. Die Regelungen, die getroffen wurden, halte ich für maßvoll und sehe, dass sie verträglich sind. Aber natürlich ist jeder in dieser Lage auch ein stückweit auf sich selbst und seine eigenen Gedanken, Sorgen, Ängste, Hoffnungen, zurückgeworfen. Dennoch handeln die Menschen solidarisch. Viele suchen gerade über andere Medien umso intensiver die Nähe zu ihren Freunden und Verwandten. Viele spenden Geld für diejenigen, die von der Krise besonders betroffen sind oder verzichten auf die Stornierung bereits gebuchter Leistungen. Und niemand spricht davon, dass das größte finanzielle Hilfspaket in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland unangemessen wäre. Das ist wahrscheinlich genauso ‚historisch‘ wie das Paket selbst. Mit dem Ernst der Lage wird mir jedenfalls auch die Verantwortung bewusst, die ich als politische Repräsentantin für den Kreis Gütersloh und die Menschen hier trage.

Arbeiten Sie aktuell aus einem parlamentarischen Büro, von Zuhause oder ganz woanders?

Ich arbeite derzeit von Zuhause aus, das ist überhaupt kein Problem.

Muss man sich an diesen Zustand erst gewöhnen oder ist es ohnehin so, dass bereits in der Vergangenheit ein Vielfaches Ihrer Arbeit unterwegs erledigt worden ist?

Gewöhnen – ja und nein. Feste Bürozeiten habe ich als Abgeordnete ohnehin nicht. Da geht es von einem Termin in den nächsten. Dass man konzentriert arbeiten kann – egal an welchem Ort –, das gehört glaube ich zur Bedingung der Möglichkeit eines Abgeordnetenlebens. Dass man aber den ganzen Tag Zuhause verbringt, das ist zumindest ungewöhnlich. Aber ich halte es ganz gut mit mir selber aus – deshalb würde ich mir derzeit gute ‚Home-Office-Kompetenz‘ attestieren.

Im Übrigen haben wir eine für die vergangene Woche angesetzte ‚Ideenwerkstatt‘ mit Fachexperten zum Thema „Daten“ nicht abgesagt, sondern in den digitalen Raum verlegt. Mein Fazit: Es hat wunderbar funktioniert.

Ist eine feste Struktur eines Homeoffice-Tages mit geregelten Pausenzeiten im hektischen Politik-Alltag überhaupt möglich?

Etwas geregelter wird es schon – man kann das Handy ja auch einfach mal liegen lassen. Wenn man unterwegs ist, trifft man doch immer irgendwen, mit dem man doch noch etwas zu besprechen hatte, oder schon einmal besprechen könnte, auch wenn man vielleicht nicht müsste usw. Aber trotzdem bleiben die Arbeitstage vollgepackt; was an öffentlichen Veranstaltungen wegfällt wird durch den Handlungsbedarf in Sachen Corona komplett aufgewogen – deshalb muss man auch im Home-Office mit seiner Mittagspause flexibel bleiben. Und natürlich bleibt die inhaltliche Arbeit an meinen Kernthemen bestehen und muss vorangetrieben werden.

Welche Kanäle (Whatsapp, Mail etc.) nutzen Sie regelmäßig, um sich in der Fraktion oder mit Mitarbeitern auszutauschen?

Mit meinem Team habe ich feste Kanäle über die wir uns austauschen. Das hatten wir aber auch schon ‚vor Corona‘. Wir nutzen für die kurzen Abstimmungen einen sicheren Messenger-Dienst, die Teambesprechungen laufen über einen Videokonferenzanbieter und für die langfristigen Vorhaben nutzen wir auch ein Projektmanagement-Tool. Da wird dann z.B. eine Veranstaltung erstellt, in einzelne Aufgaben unterteilt und jeweils Verantwortliche benannt. So weiß eigentlich immer jeder, wer was zu tun hat und kann sich seine Arbeit flexibel einteilen.

Darüber hinaus ist die Lage aber etwas unübersichtlich, weil jedes Ministerium, jedes Gremium, jeder Ausschuss, jeder Beirat usw. damit anfängt, einen eigenen Anbieter auszusuchen und jetzt natürlich erstmal austestet, was für welche Bedürfnisse am besten passt. Innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion sind wir im Vergleich dazu ganz gut aufgestellt. Wir haben nämlich bereits im vergangenen Jahr einen digitalen Share-Point eingerichtet, auf dem es sich gemeinsam arbeiten lässt. Gewissermaßen die sozialdemokratische Antwort auf Google.

Erschwert es die Arbeit, dass das persönliche Gespräch bei der Arbeit nun vorerst wegfallen muss?

„Erschweren“ im eigentlichen Sinne nicht, solange wir von Politik als Betrieb sprechen, in dem ich als Abgeordnete eine bestimmte Funktion ausübe; also in diesem eher technischen Verständnis von Politik: Politik als Problemlösungsmaschine. Das persönliche Gespräch ist aber für mich die Bedingung der Möglichkeit, dass das, worüber man spricht, zu einem geteilten Problem wird, sodass auch die Lösung eine gemeinsame Lösung werden kann. Also die Verständigung, die Einigkeit, das Gemeinsame, das ist ja eigentlich Politik und das ist es ja auch, was wir im Parlament repräsentieren sollen; was gegenwärtig vielleicht zu holzschnittartig passiert.

Deshalb meine Antwort: Kurzfristig ist das gar kein Problem – man hat ja immer noch das Telefon. Langfristig würde damit aber die Funktionsweise unserer demokratischen Ordnung untergraben.

Wie hält man trotz Krise den Kontakt zum heimischen Wahlkreis und den Wählern dort?

Ja, auch hier eben nun über verschiedenste Medien. Ich habe weiterhin den Kontakt zu meinen Genossinnen und Genossen im Kreis. Versuche aber auch für alle anderen ansprechbar zu bleiben. Auf einige besonders betroffene Branchen versuche ich selbst aktiv zuzugehen, mir eine Übersicht über die Lage zu verschaffen und die Bedürfnisse dann ‚nach Berlin‘ weiterzugeben, damit auch hier im Kreis die Auswirkungen des Corona-Virus gering bleiben. Ansonsten läuft mein E-Mail Postfach natürlich über – ich und mein Team versuchen jeder und jedem so schnell wie möglich zu antworten und möglichst individuelle Hilfe zu leisten. Deshalb haben wir auch Übersichten zu den Maßnahmen erstellt, die jetzt von Bund und Land auf den Weg gebracht wurden und sie auf die Homepage gestellt. Bei den immer neuen Meldungen weiß ja sonst keiner mehr, was eigentlich Sache ist – und das ist ja gerade meine Aufgabe, hier die Übersicht zu behalten.

Darüber hinaus biete ich zusätzlich einmal die Woche eine Bürgertelefonsprechstunde an, um über die neusten Maßnahmen zu informieren, aber natürlich auch für die Sorgen und Ängste ansprechbar zu bleiben.

Trotz aller Schwierigkeiten: Welche Vorteile könnte diese Krise mit Blick auf die Digitalisierung der Arbeitswelt im Allgemeinen haben?

Wie gesagt, mein Team und ich nutzen diese Möglichkeiten schon länger. Auch höre ich immer häufiger von Kolleginnen und Kollegen, dass sie das jetzt für sich entdecken. Ich will nur hoffen, dass dann, nachdem wir das Ganze werden überstanden haben, immer noch Interesse für eine funktionierende digitale Infrastruktur da ist. Ich hoffe, dass wir dann auch in Sachen Verbraucherschutz im Netz weiterkommen oder kritischer über die Monopolstellung einiger großer Technologiekonzerne sprechen, von denen wir alle, auch der Staat, de facto abhängig sind. Das sind letztlich die sozialdemokratischen Fragen, die sich im 21. Jahrhundert wiederholen und hier könnte ich noch einige Unterstützung im Digitalausschuss gebrauchen.